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  • AutorenbildRoman Menzel

Die Friedrichstraße

Boulevard der Dämmerung oder Wiederauferstehung einer Prachtstraße?

 

Blick auf den belebten Bahnhof Friedrichstraße

Boulevard der Dämmerung, im englischen Originaltitel Sunset Boulevard, war ein von Billy Wilder 1950 inszenierter Filmklassiker über verblasste Zeiten eines großen Boulevards in Hollywood. Hollywoods Goldene Ära in den 1920er Jahren, als sich das Star- und Studiosystem etablierten und die Gagen der Schauspieler explosionsartig in die Höhe schossen, entstanden am Sunset Boulevard zahlreiche Luxusvillen. Als sich ab Anfang der 1930er Jahre der Tonfilm zunehmend durchsetzte, bedeutete dies für viele Stummfilmdarsteller das Karriereende und der Boulevard verschwand samt seiner Bewohner in der Vergessenheit - bis er ab


den 1960er Jahren wieder aufblühte.


Droht der Friedrichstraße das gleiche Schicksal wie einst dem Sunset Boulevard?

 

Die Friedrichstraße erlebte nach der Wende der 1990er Jahre einen Bauboom und avancierte zur nobelsten Straße Berlins und lief dem Berliner Kurfürstendamm allmählich den Rang ab. Glanzvolle Bauten wie Jean Nouvels Galeries Lafayette und die Quartiere 205 und 206 gewannen die Gunst einer luxusorientierten Klientel. Doch die City-West holte auf und betuchte Bewohner aus dem noblen Grunewald waren es bald leid sich durch eine immer vollere, mit Baustellen durchsähten, Innenstadt zu quälen.

Zumal das Parken vor den Luxusboutiquen in der engen Friedrichstraße kaum möglich war. Wohlhabende ‚West-Berliner‘ mieden den beschwerlichen Weg und überließen schaulustigen, weniger kauffreudigen, Touristen das Feld. Die edlen Boutiquen wanderten wieder zurück an den Kudamm, wo es sich besser parken ließ, die Wege kürzer waren und es beschaulicher zuging.

Die gewählten politischen Vertreter zogen die falschen Schlüsse und gaben dem Autoverkehr die Schuld. Aus diesem Grund wurde ab Sommer 2020 die Friedrichstraße in dem Abschnitt zwischen Leipziger Straße und Französischer Straße eine autofreie Zone. Das Projekt des Berliner Senats diente der Erprobung, wie eine autofreie Stadt die Lebensqualität und die Konsumfreudigkeit wieder steigern könnte. Das Verkehrsexperiment kostete mehrere Millionen Euro Steuergeld und war vom ästhetischen Standpunkt einer Großstadt nicht würdig.

Das Resultat war verheerend. Der politische Streit zwischen den Koalitionspartnern entgleiste und schadete weiter dem Image der Friedrichstraße. Nicht nur der hochwertige Einzelhandel, sondern auch zahlreiche Büronutzer verließen die Gegend.

 

Mittlerweile gab es einen politischen Wechsel im Berliner Abgeordnetenhaus, woran der Streit über das Verkehrskonzept der Friedrichstraße wahrscheinlich seinen Anteil trägt.

 

Auch Prachtstraßen unterliegen Zyklen

 

Die Friedrichstraße ist nach wie vor eine der bekanntesten Straßen in Berlin und hat im Laufe der Jahrhunderte eine faszinierende Geschichte durchlebt. Die Friedrichstraße ist nicht nur eine Einkaufsstraße, sondern ein lebendiges Zeugnis der Geschichte, Kultur und voller Potenzial. Von der prachtvollen Architektur bis zu exklusiven Geschäftsräumen und kulturellen Einrichtungen, hochwertigen Büros, angesagten Restaurants und schönen angrenzenden Straßen und Plätzen bietet sie eine Vielfalt, die wenige Straßen in der Hauptstadt haben und macht sie zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Berliner Stadtbildes.

 

Sie abzuschreiben ist grundlegend falsch, denn erstens unterliegen auch Prachtstraßen gewissen Zyklen, was der Berliner Kurfürstendamm ab den 1990er Jahren ebenfalls erfahren musste, bevor er wieder aufblühte, und zweitens besteht die Friedrichstraße aus mehreren Teilbereichen, die sich lohnen näher betrachtet zu werden.

 

Die drei unterschiedlichen Gesichter der Friedrichstraße -Nord, Mitte, Süd-

 

Vom Norden Ecke Torstraße bis zum Süden zum Mehringplatz am Halleschen Tor zieht sich die Friedrichstraße entlang auf einer Strecke von ca. 3,3 Kilometern und überquert dabei nicht nur die Spree, sondern durchquert auch die Bezirke Mitte und Kreuzberg.

Im Kern kann man die Friedrichstraße gut in drei unterschiedliche Bereiche aufteilen, die aufgrund ihrer Heterogenität eine unterschiedliche Attraktivität aufweist.

 

Der nördliche Teil der Friedrichstraße – Kultur pur

 

Von der Ecke Torstraße bis Unter den Linden erstreckt sich dieser Teil auf einer Länge von ca. 1,2 Kilometern und lässt sich in 16 Minuten fußläufig bewältigen. Hier befinden sich zahlreiche kulturelle Einrichtungen von Bedeutung mit hoher Lebendigkeit sowohl am Tage als auch am Abend.


Stadtplan des nördlichen Teils der Friedrichstraße. Kultur pur!

Wenn wir unseren Spaziergang im Kreuzungsbereich der Torstraße starten und nach Süden laufen, kommen wir nach wenigen Metern zur Oranienburger Straße. Ein Blick nach links und es öffnet sich die Sichtachse zum Berliner Fernsehturm, Berlins Wahrzeichen. Man erkennt in der Ferne die goldene Kuppel der Neuen Synagoge 1. In der Oranienburger Straße sieht man rechtsseitig das graffitibemalte Tacheles 2, ein Gebäudeteil eines ehemaligen Kaufhauses, welches vor der Sanierung als alternatives Kunsthaus genutzt wurde und heute ein internationales Fotomuseum, das Fotografiska, beherbergt. Das alte Brachgelände ist in den letzten Jahren durch einen US-amerikanischen Investor luxuriös entwickelt worden. Das Ensemble mit zahlreichen Innenhöfen und einer Passage wurde von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron geplant und erstreckt sich von der Oranienburger Straße zur Friedrichstraße. Der Komplex vereint viele Nutzungen von Einzelhandel, hipper Gastronomie, wie das Restaurant und Bar Veronika, moderne Büros bis zu Luxus-Wohnungen.


Kulturell bleibt es auf der Friedrichstraße weiter prominent mit dem bekannten Revue-Theater Friedrichstadt-Palast 3 und rechter Hand der Spree das berühmte Berliner Ensemble 4, auch bekannt als Brecht Theater. Hier am Schiffbauerdamm 5 gibt es etliche Restaurants, wovon das Grill Royal 6 an der Friedrichstraße hervorsticht und eines der Topadressen der Gegend ist. Linker Hand der Brücke erblickt man, die Spree hinunter, die Museumsinsel 7 und rechts den Reichstag.

Auf der Weidendammer Brücke überqueren wir die Spree und sehen rechts das sogenannte Spreedreieck 8, ein modernes Bürogebäude des Architekten Mark Braun, die eine Reminiszenz der Entwürfe von Ludwig Mies van der Rohe sind, der dort bereits in den 1920er Jahren ein Hochhaus an gleicher Stelle plante. Dahinter versteckt sich der Tränenpalast 9 ein Stück deutsch-deutscher Geschichte. Der Ort des tränenreichen Abschieds, als die Verwandten wieder nach West-Berlin ausreisten. Hier gedenkt man auch den schrecklichen Kindertransporten während des NS-Zeit Züge in das Leben – Züge in den Tod .

Gegenüber, die bekannten Bühnen des Admiralspalastes und des Kabarett-Theaters - Die Distel 10.

Der Bahnhof Friedrichstraße 11, einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Stadt, verbindet verschiedene U- und S-Bahn-Linien. Dies macht die Straße nicht nur für Berliner, sondern auch für Touristen leicht erreichbar.

Auf den letzten Metern bis zum Boulevard Unter den Linden 12 passieren wir noch das knapp 100 Meter hohe Internationale Handelszentrum 13, heute ein zentraler Bürogebäudekomplex sowie das KulturKaufhaus Dussmann 14 und das Haus der Schweiz 15. Weinfreunde treibt es in die angesagte Weinbar, der Bar Freundschaft 16. Hier endet der nördliche Teil der Friedrichstraße, ein sehr lebendiger, intakter Teil, der mit der Neueröffnung des Am Tacheles einen neuen Magneten hinzugewonnen hat.

 

Der mittlere Teil der Friedrichstraße – Zentrum der Geschäftswelt

 

Dieser Teil ist nur 800 Meter lang und verläuft in etwa 11 Gehminuten von Unter den Linden bis zur Leipziger Straße in südlicher Richtung.


Der miitlere teil der Friedrichstraße - das Geschäftsviertel

 

An der Kreuzung des Boulevard Unter den Linden befand sich das berühmte Café Bauer. Die Kreuzung entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer der belebtesten Orte der Stadt überhaupt. Etliche historische Aufnahmen dieser Zeit zeigen unzählige Pferdewagen, Droschken, Kraftfahrzeuge, Handwagen, Omnibusse, Radfahrer und Fußgänger, die sich gleichzeitig die Straße teilten.

 

Rechts die Linden hinuntergeschaut, erblickt man das weitere Wahrzeichen der Stadt: Das Brandenburger Tor 17. Blick nach links, dann schaut man in Richtung Deutsche Staatsoper 18 und auf das wiederaufgebaute Berliner Stadtschloss, dass das Humboldtforum 19 beherbergt und bedeutende Ethnologische Sammlungen und Asiatische Kunst zeigt.

 

An der anderen Ecke der Kreuzung befindet sich das Westin Grand Hotel 20, eines der letzten DDR-Hotelneubauten und Stolz des damaligen Regimes. Der in der Nachwende gebaute Lindencorso 21 wird als Showroom des Volkswagenkonzerns genutzt und zeigt deren Markenvielfalt von Audi, Bentley, Bugatti, Cupra, Skoda bis VW.

Auf der Friedrichstraße befindet sich das italienische Edel-Restaurant Bocca di Bacco 22 und um die Ecke eine Berliner Institution, das Restaurant Borchardt 23, nach wie vor einer der angesagtesten Brasserien der Stadt. An der Ecke Französische Straße ist das renommierte Kaufhaus Galeries Lafayette 24. Durch die angesprochenen Probleme, die insbesondere auf diesem Teil der Friedrichstraße bestehen, wird wohl auch diese Institution weichen. Zur Diskussion steht, den Sitz der Landesbibliothek in dieses Gebäude zu verlegen.

Ziemlich glanzlos sind die einst angesagten Einkaufstempel, Quartier 205 25 entstand nach Plänen von Oswald Mathias Ungers und Quartier 206 26 von Henry Nichols Cobb (von Pei Cobb Freed & Partners).

Hohe Leerstände, verwaiste Läden, fehlende Nachvermietungskonzepte prägen diese Gebäude. Auf der anderen Seite dieser Blöcke befindet sich mit dem Gendarmenmarkt 27, einer der schönsten Plätze Berlins. Im Zentrum das Schauspielhaus 28 von Karl Friedrich Schinkel erbaut, gehört es zu den Hauptwerken des deutschen Klassizismus und wird umrahmt vom französischen und deutschen Dom.

Das Haus der russischen Wissenschaften und Kultur 29 ist noch ein Relikt der DDR-Zeit.

Der mittlere Teil endet an der Kreuzung Leipziger Straße 30 einer der wichtigen Ost-West-Achsen am U-Bahnhof Stadtmitte. Die Kreuzung ist geprägt durch 4 Geschäftshäuser in den Bauklassen Gründerzeit, 1930er und 2000er Jahre.


Das angekratzte Image der Friedrichstraße resultiert aus diesen mittleren Teil. Der größte Handlungsbedarf besteht hier der Straße wieder Leben einzuhauchen, die es aufgrund der Lage und der Qualität verdient hätte.


Die südliche Friedrichstraße – Zwischen Kalter Krieg und Zeitungsviertel


Die restlichen 1,3 Kilometer von der Leipziger Straße bis zum Mehringplatz unterscheiden sich stark von den nördlich liegenden Abschnitten. 18 Minuten Fußweg benötigt man für die Strecke, wo die Friedrichstraße mit der Nr. 246 endet.


Der südliche Teil der Friedrichstraße - Das Zeitungsviertel

 

Nach dem Haus Friedrichstadt 31, einem Bürogebäude der neuen Sachlichkeit aus den 1930er Jahren gibt es eine Mischung aus modernen und historischen Gebäuden. Bekannt ist das Philip-Johnson-Haus 32 aus den End 1990er Jahren, eines der letzten Gebäude des New Yorker Stararchitekten.

 

Hier beginnt das sogenannte Zeitungsviertel. Ein zentrales Element des Zeitungsviertels ist der Checkpoint Charlie 33, einst ein Grenzübergangspunkt zwischen Ost- und West-Berlin während des Kalten Krieges. Heute ist der Checkpoint Charlie nicht nur eine historische Stätte, sondern auch ein touristischer Anziehungspunkt. Umgeben von Museen und Gedenkstätten, darunter das Mauermuseum 34, erinnert der Checkpoint Charlie an die Zeiten der Teilung und die Bemühungen um Freiheit und Überwindung politischer Grenzen.


Mit Überquerung der Zimmerstraße verlässt man den Bezirk Mitte und dringt in Kreuzberg ein. 

Im Laufe der Jahre hat sich das Zeitungsviertel weiterentwickelt und ist heute ein vielschichtiger Stadtteil. Neben den historischen Gebäuden und Gedenkstätten gibt es moderne Bürokomplexe, Geschäfte und gastronomische Einrichtungen, wie das Entrecote 35, Sale e Tabacchi 36 und Tim Raue 36. Diese haben eine hohe Anziehungskraft und machen die Gegend auch abends lebendig. Das Viertel hat seine historische Bedeutung nicht verloren, sondern integriert sie geschickt in die pulsierende Gegenwart.

 

Diese Gegend hat eine hohe Frequenz. Insbesondere der Kreuzungsbereich Kochstraße mit seinem U-Bahnhof und den historischen Gebäuden mit schönen Fassaden der unter Denkmal stehenden Gebäude Friedrichstraße 208 und Friedrichstraße 210 37. Hier sind die Verlage und Zeitungen von TAZ bis Springer mit dem bekannten Axel-Springer-Haus 38, einst Symbol der freien Presse von 'West-Berlin'.

Zwar endet die Friedrichstraße hier noch nicht, aber der letzte ‚West-Berliner‘ teil ist weniger bedeutend, eigentlich ein vierter Abschnitt. Erwähnenswert ist das Landesarbeitsamt aus dem Jahre 1940 als Beispiel für brachiale NS-Monumentalarchitektur 39. Die Gegend weiter südlich bis zum Mehringplatz war stark kriegszerstört und wurde durch eintönige 1970er Jahre Architektur wiederaufgebaut. Das Ende bildet der Mehringplatz, einst Belle-Alliance-Platz 40. Dieser galt als einer der schönsten Plätze Berlins. Erhalten ist nahezu nichts davon.

 

Prachtstraßen bleiben Prachtstraßen und sind Marken

 

Die Maximilian Straße in München, die Kö in Düsseldorf, Alter Wall in Hamburg, die Zeil in Frankfurt, der Kurfürstendamm in Berlin sind Markennamen. Eingebrannt ins Gedächtnis der Menschen haben sie einen hohen Wert. Diesen hat die Friedrichstraße ebenso. Im nördlichen und in Teilen der südlichen Friedrichstraße ist es pulsierend. Der mittlere Teil, das wichtige Geschäftsviertel rund um den Gendarmenmarkt, muss sich wieder fangen. Es ist nur eine Frage der Zeit und bedarf Mut und Kreativität der Eigentümer (mit den nötigen Investitionen) sowie dem Willen der politisch Verantwortlichen.

 

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